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Belfast. Die Seitenstraßen westlich der Falls Road im katholisch-republikanischen Teil von Belfast enden an einer Mauer: Eine rund sechs Meter hohe Betonwand, darauf ein teilweise stacheldrahtgekrönter Gitterzaun. Die so genannten Peace Walls trennen die katholischen von den protestantischen Vierteln. Viele Fenster der „grenz“nahen Häuser sind vergittern, weil immer wieder Steine oder Brandbomben von der einen auf die andere Seite fliegen.

Foto: Robert B. Fishman, 12.8.2014
Riesige Wandbilder, die so genannten Murals, preisen den Kampf der eigenen Leute gegen die jeweils anderen. Die Katholiken wollen mehrheitlich zu Irland, sind also Nationalists oder Republicans, die Protestanten mehrheitlich britisch bleiben, heißen daher Loyalists oder Unionists.

Foto: Robert B. Fishman, 12.8.2014

Nach vielen Gesprächen mit Menschen in Belfast (die meisten hier sind unglaublich freundlich, freuen sich über das Interesse an ihren Geschichten, erzählen gerne und helfen Gästen so gut sie können) stelle ich fest, dass die Wirklichkeit nicht ganz so einfach ist. Der Ärger begann als immer mehr englische und schottische Siedler im 16./17. Jahrhundert nach Irland kamen. Die Insel wurde nach und nach zur britischen Kolonie. Unvergessen ist den republikanischen Iren die Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts, mit verursacht durch die britischen Kolonialherren. Zumindest war es vielen von ihnen ganz recht, dass die renitenten Iren verhungerten.

1916 begann der irische Aufstand, der mit der Gründung der Republik Irland endete. Ulster im Nordosten blieb mit seiner damals protestantischen Mehrheit britisch. Katholiken bekamen – wenn überhaupt – nur die schlechtesten Jobs. Politik und Wirtschaft blieb in britisch-protestantischer Hand.

Foto: Robert B. Fishman, 12.8.2014
„Hier durch diese Straße sind die protestantischen Milizen hereingekommen, haben um sich geschossen und unsere Häuser angezündet“, erinnert sich ein ehemaliger IRA-Kämpfer, der den Überfall als kleiner Junge auf der Falls Road 1969 erlebt hat. „Uns blieb doch gar nichts anderes übrig, als zu den Waffen zu greifen und uns zu wehren.“

Fast 40 Jahre lang dauerte der Krieg zwischen IRA (Irisch-Republikanische Armee)  und den protestantischen Milizen, allen voran der Ulster Volunteer Force UVF, die angeblich auch heute noch das Sagen in den evangelischen Vierteln hat. Nachbarn und Freunde wurden zu Feinden, Brüder und Schwestern zu Gegner. Die britische Armee marschierte in Nordirland ein: Verhaftungen, unaufgeklärte Morde, Schießereien auf der Straße. Soldaten haben viele junge Leute – vor allem auf der republikanischen Seite – mit ihren angeblich nicht-tödlichen Plastikpatronen erschossen. 1998 beendeten Politiker beider Seiten mit dem Karfreitagsabkommen den Krieg. Der Frieden hält. Die Teilung ist geblieben, das Trauma auch.

Foto: Robert B. Fishman, 12.8.2014

Jeden Sommer erinnern beide Seiten mit Paraden die Erinnerung an den Krieg und seine Opfer. Die protestantischen Oranjer veranstalten alljährlich an die 4000 Märschen bevorzugt in katholischen Vierteln. Zoff gibt es dabei immer wieder.

Foto: Robert B. Fishman, 12.8.2014

Katholisch-Republikanische Paraden wie diese zur Erinnerung an den Internment Day sind selten. Am 9. August 1971 erlaubte die britische Regierung Verhaftungen auf Verdacht ohne richterliche Überprüfung. Hunderte angebliche oder tatsächliche IRA-Kämpfer verschwanden in den Gefängnissen.

Immer wieder verwirrt mich dieses Land mit seinen so freundlichen Menschen: Die katholisch-republikanische Bewegung verortet sich links, kämpft für sozialen Ausgleich, starke Gemeinschaften, Gleichberechtigung aller, gegen Rassismus und Ausgrenzung von Schwulen, Lesben und anderen Minderheiten, für Demokratie –nicht gerade das, wofür die katholische Amtskirche steht. Da sieht man Marienstatuen neben linken Parolen.

Foto: Robert B. Fishman, 12.8.2014

An vielen Häusern an der republikanischen Falls Road wehen palästinensische Fahnen. „Free Gaza“ steht in mannshohen Lettern an Hauswänden, manche junge Leute tragen T-Shirts mit der Aufschrift „Boykottiert israelische Produkte“. Dabei kennt hier kaum jemand die Hintergründe des Nahost-Konflikts. „Dumm sind sie nicht, aber unwissend“, sagt mir ein Vertreter der jüdischen Gemeinde in einer ruhigen Wohngegend am Stadtrand. Bisher fühlen sich die rund 80 Mitglieder nicht bedroht. Der Rabbiner kann in seiner schwarzen, orthodoxen Tracht ungehindert durch die Stadt gehen. „Die Leute grüßen mich freundlich“, sagt er.

Foto: Robert B. Fishman, 12.8.2014

An der Falls Road frage ich immer wieder nach den Gründen für die Gaza-Begeisterung im Viertel. Die Antworten fallen meist einsilbig aus: „weil wir die britischen Besatzer hier hatten, wie die Palästinenser die Israelis“, sagt ein kräftiger Kerl so um die 40, ‚cause those fucking Jews are killing children“, schimpft ein anderer, der mich anquatscht, als ich das Parteibüro der katholischen Partei Sinn Fein fotografiere. Die hat inzwischen die Mehrheit im Belfaster Stadtrat. „Fucking bastards“, nennt er sie und zieht sein T-Shirt hoch. Ich solle doch lieber das Tatoo auf seinem Rücken fotografieren.

Foto: Robert B. Fishman, 12.8.2014

Er stehe für die „Real IRA“ , die „wahre IRA“, die den Friedensschluss von 1998 für Verrat hält und weiter für den Anschluss an Irland kämpft. Mehrheitsfähig ist der hörbar angetrunkene Kerl damit nicht. Die Falls Road blüht seit dem Karfreitagsabkommen auf. Die meisten der Schilder „zu verkaufen“, die in zahlreichen Vorgärten stehen, haben die Makler mit dem Hinweis „too late“, „zu spät“ merkiert.

Foto: Robert B. Fishman, 12.8.2014

Seit der Krise von 2007 ziehen die Wohnungspreise wieder an. Vor allem in der politisch neutralen Innenstadt und hier oben öffnen viele neue Geschäfte und Cafés wie hier das Kangaroos:

Foto: Robert B. Fishman, 12.8.2014

Die andere Seite ist in die Defensive geraten:Die andere Seite ist in die Defensive geraten: In den eingemauerten protestantischen Wohngebieten wie Sandy Row im Süden oder in Ost-Belfast sehe ich kaum Menschen auf den Straßen, keine Geschäfte, keine Pubs.

Foto: Robert B. Fishman, 12.8.2014

. Vor einem „Fußball-Fanclub“ schauen ein paar muskelbepackte Gestalten misstrauisch in die Gegend. Ihre Blicke sagen mir „Hau ab und stell keine Fragen“. Ok, ich bin schon weg.

Foto: Robert B. Fishman, 12.8.2014

„Die meisten Kneipen mussten aufgeben, weil die Milizionäre und ihre Anhänger ihre Zeche nicht bezahlen“, erzählt mir Martin später. Er ist hier aufgewachsen. Noch immer bestimmten in den teilweise heruntergekommenen unionistischen Arbeitervierteln die „Paramilitaries“, die Milizenchefs der UVF und ähnlicher Organisationen. Martin hat die Belagerten-Mentalität (siege mentality) in seinem Viertel irgendwann nicht mehr ausgehalten und ist weg gezogen. Heute arbeitet er als Touristenführer. Und die anderen?“ Die können sich die Mieten in freundlicheren Stadtteilen nicht leisten und bleiben.

Foto: Robert B. Fishman, 12.8.2014

Nachbau einer Zelle des Armagh-Gefängnisses im Republikanischen Museum an der Falls Road. Angehörige ehemaliger Gefangener und Menschen, deren Angehörige im Krieg um gekommen sind pflegen hier das Andenken der Opfer.  „Healing through Remembering“, „Heilen durch Erinnern“ heißt eine andere Organisationen, die Begegnungen und Gespräche zwischen ehemaligen Feinden ermöglicht.

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Die Katholiken, sagt er, hätten sich während des Bürgerkriegs besser organisiert. Sie mussten zusammen halten. Weil sie immer die schlechteren Chancen hatten, sorgten sie dafür, dass ihre Kinder gute Schulabschlüsse machen. „Bei uns haben viele gedacht, dass sie all das nicht brauchen. Als Protestanten bekamen sie sowieso die besseren Jobs.“ Das räche sich jetzt. Im neuen Nordirland fühlen sich viele Protestanten benachteiligt. „Wenn Du bei der Arbeit keine britischen Mohnblumen (Poppies) mehr tragen darfst und die Unternehmen ab elf Mitarbeitern mindestens 50% Katholiken beschäftigen müssen und die Kinder in den Schulen jetzt die irischen statt der englischen Sportarten lernen bekommen viele hier das Gefühl, etwas zu verlieren. Der Friedensprozess“, fürchtet Martin, „hat in diesen Vierteln hier keine Mehrheit“. Dennoch sei Belfast „auf dem richtigen Weg“.

Foto: Robert B. Fishman, 12.8.2014

In der weitgehend renovierten Innenstadt merkt man nichts mehr vom Konflikt. In Pubs wie dem „John Hewitt“, dessen Gewinne an das Arbeitslosenzentrum nebenan fließen, feiern Katholiken, Protestanten und Touristen gemeinsam. „Hier fragt Dich niemand nach Deiner Religion“, verspricht John. In den 90er Jahren hat er die Kneipe mit gegründet und sitzt immer noch fast jeden Abend hier. „Damals“, schwärmt der 72jährige von alten Zeiten, „haben die Leute von Sinn Fein, der UVF und anderen protestantischen Organisationen hier beim Bier heimlich das Karfreitagsabkommen  vorbereitet. Cheers und Slàinte.

Mein herzlicher Dank gilt Tourism Ireland und Visit Belfast für die Unterstützung meiner Recherchereise. Auf die Inhalte meiner Berichte und Reportagen haben beide keinen Einfluss genommen.

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